Rainer Fromm
Digital spielen - real morden?
Shooter, Clans und Fragger
Computerspiele in der Jugendszene
Marburg: Schüren, 2002
174 S., 12,80 €
ISBN 3-89472-176-6




Besprechung von Michael Pechel
   

 

 

Der Journalist Rainer Fromm, mit zahlreichen Fernsehbeiträgen und einer Buchpublikation als Experte zum Thema "Rechtsextremismus im Internet" bekannt, beschreibt in einem neuen Buch Computerspiele als Elemente einer neuen Jugendkultur. Dabei konzentriert er sich auf die - spätestens nach Erfurt - in Öffentlichkeit und Politik umstrittenen "Blut- und Ballerspiele".

Das Buch besteht aus zwei Teilen. In einem ersten Bereich, einer ausgedehnten Einleitung, beschreibt der Autor anhand von Beispielen die "Ahnengalerie" aktueller Ego-Shooter und geht auf die Diskussion ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche ein: Digital spielen - real morden? Der zweite Teil des Buches besteht aus zahlreichen Interviews, die der Autor mit Experten aus politischer Bildung, Jugendschutz, Medienwissenschaft, aber auch mit Vertretern der Spieleindustrie sowie nicht zuletzt jugendlichen Gamern selbst geführt hat.

Von "Doom" bis "Counterstrike" - Machart und Inhalte der vom Autor vorgestellten Spiele sind erschreckend. Ob es gegen grausame Aliens auf einem fernen Planeten oder angreifende Skinheads in einer sehr realen New Yorker U-Bahn geht, das Prinzip ist das immergleiche: Schnell und effektiv töten, bevor man selbst zum Opfer wird. Zur Auswahl stehen verschiedenartigste Waffen vom simplen Messer bis zu Lasergewehren, Minen und Granatwerfern. Das Prinzip der subjektiven Kameraführung und 3D-Effekte in Echtzeit, die Geräuschkulisse, das Eilen durch endlose Gänge, in denen jederzeit der Feind auftauchen kann, all dies sorgt für gleichermaßen klaustrophobische Stimmung und actiongeladene Spannung. Das Töten selbst ist unterschiedlich grausam und ausführlich dargestellt. Die Spitze bietet wohl die amerikanische, also nicht für den deutschen Markt entschärfte Version von "Soldier of Fortune": Ein "Körpertreffersystem" lässt durch Schüsse Arme und Beine abtrennen, Köpfe zerplatzen und Därme herausquellen. Die deutsche Version lässt sich durch den Internet-Download eines Zusatzprogramms (Patch) recht umstandslos zur beliebten amerikanischen Originalversion aufrüsten.

In der Diskussion der einschlägigen Ergebnisse der Medienwirkungsforschung kommt der Autor zum Urteil, dass unmittelbare Rückschlüsse vom Spielverhalten auf aggressives Gewalthandeln nur sehr bedingt zulässig sind. Bei den bekanntesten Beispielen (Littleton 1999, Bad Reichenhall 1999, Erfurt 2002) sind die jeweiligen sozialen, familiären und ideologischen Hintergründe der Täter mit zu berücksichtigen: im Fall Littleton Außenseitertum und rechtsextreme Gesinnung der Täter, in Bad Reichenhall der Einfluss eines waffenvernarrten Vaters, in Erfurt Schulversagen. Und: die Voraussetzung für alle Bluttaten war der Zugang zu realen Waffen. Letztlich stimmt Rainer Fromm der "Verstärker-Theorie" ("double-dose") der Medienwirkungsforschung zu: Problematisch ist, wenn gewalthaltige Spiele mit schwierigen sozialen und psychischen Lagen zusammenkommen und virtuelle und reale Welten nicht mehr getrennt werden. - Aktuelle Forschungen bestätigen, dass Realgewalt und der Konsum aggressiver Medien gemeinsam auftreten. Eine repräsentative bayrische Langzeituntersuchung ("Eichstädter Studie") zu Schulgewalt ergab, dass der kleine Prozentsatz "harter Täter" einer insgesamt gewaltgeprägten Lebenswelt entstammt und gleichzeitig Multimediaangebote aus dem Umfeld der Kriegs-, Horror- und Sexfilme bevorzugt.

Der Interviewteil des Buches beginnt mit einem Gespräch mit dem bekannten Medienforscher Jo Groebel, der Ähnliches belegt. Groebel leitete eine UNESCO-Studie, die repräsentativ das Medienverhalten von Zwölfjährigen in 23 Staaten der Welt untersuchte, darunter auch in Bürgerkriegsregionen. Frappierend war die Deutlichkeit, mit der sich Kinder in Gewaltsituationen auch von Mediengewalt fasziniert zeigten. Groebel sieht den Grund darin, dass entsprechende Medienangebote Muster vermeintlicher Lösungen und Verhaltensmodelle anbieten, die nach der von Krieg und Kriminalität geprägten Lebenserfahrung dieser Kinder Plausibilität beanspruchen können. In Bezug auf Video- und Computerspiele fordert Groebel eine verstärkte Medienkompetenz der Erziehung: Während das Medium Fernsehen generationsübergreifend genutzt wird und die Sender in Sachen Gewalt unter dem Druck der Öffentlichkeit stehen, stellen digitale Spiele eine eigene Kultur dar, die bislang weitgehend unter Ausschluss der pädagogischen Öffentlichkeit stattfindet: Eltern und Schule sollten sich besser über das informieren, was hier angeboten wird.

Mit Wolfram von Eichborn von der deutschen Vertriebsfirma Activison ("Quake III-Arena", "Soldier of Fortune" u.a.) wird ein wichtiger Vertreter der Computerspiele-Industrie befragt, die milliardenhohe Umsatzzahlen erzielt und auf die multimediale Integration von Film, Buch, Spiel und Merchandising setzt: jüngste Beispiele sind die Vermarktungsstrategien von "Tomb Raider", "Herr der Ringe" und "Harry Potter". Von Eichborn beschreibt die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Produzenten von "Soldier of Fortune", um das Spiel für den deutschen Markt und seine strengen Jugendschutzbestimmungen kompatibel zu machen, und beklagt die prinzipielle Unsicherheit, die die deutsche Regelung für den Spiele-Markt bedeutet: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften BPjS kann nur auf Antrag aktiv werden, das heißt, ein Spiel muss bereits auf dem Markt sein, bevor es eventuell als jugendgefährdend indiziert wird und damit schwerwiegenden Werbungs- und Vertriebseinschränkungen unterliegt. Hier sei eine Veränderung der Gesetzesbasis und größere Rechtssicherheit für die Produzenten und Vertriebsfirmen gefordert, z. B. durch ein Gremium ähnlich der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft FSK, die dem Handel verbindliche Vorgaben machen kann. Die bestehende Regelung einer bloßen Altersempfehlung für Computerspiele durch die Unabhängige Selbstkontrolle der Softwareindustrie USK sei zu schwach. - Das anschließende Interview mit Elke Monssen-Engberding, Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, verdeutlicht Aufgaben und Entscheidungskriterien dieser Einrichtung. Monssen-Engberding sieht die Hauptproblematik von "Blut- und Ballerspielen" in der Minderung des Mitleidsempfindens, die in sozialen Konfliktsituationen die Schwelle zum eigenen Gewalthandeln sinken lassen kann. Zudem ließen viele dieser Computerspiele einen ethischen Minimalkonsens und Schutz der Menschenwürde vermissen, wie er durch das Grundgesetz geschützt sei. - Radikal spricht danach Werner Glogauer, "Hardliner" der deutschen Medienwirkungsforschung, von direkten Folgetaten unter Medieneinfluss bis hin zum Sexualmord. Als Konsequenz fordert er das generelle gesetzliche Verbot von "Killerspielen".

Es folgen Interviews mit Tilman Ernst, zuständig für die medienpädagogische Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung, Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur der Computerzeitung c't und Jürgen Fritz, einem bekannten deutschen Spieleexperten. Gegen Ende des Buches kommt die Gamer-Szene selbst zu Wort: Redakteure von Webseiten wie "PlanetLAN" mit aktuellen LAN-Terminen, Chats, Newsräumen und Besprechungen von Spielen, Organisatoren von Netz-Parties und Mitglieder von Spiele-Clans. Vermittelt über das Medium Internet bildete sich in den letzten Jahren eine wachsende und internationale Gemeinschaft, die inzwischen fließende Übergänge zum Profitum aufweist: Gewinnern winken teils erhebliche Preisgelder. Gleichwohl sieht sich die Masse der Spieler als Teil einer elektronischen Community, die durch Spaß an Spannung, fairem Wettbewerb und Rollenspiel verbunden ist: Eine in den Aussagen ihrer Mitglieder egalitäre und friedliche Gemeinschaft, in der statt Herkunft oder Aussehen nur das individuelle Können entscheidet und wo sich in der ursprünglichen Männerdomäne auch zunehmend Frauen zeigen. In dem im Buch dokumentierten Gespräch mit Friedemann Schindler von jugendschutz.net beschreibt eine Computerspielerin, Pädagogin und seit Jahren in der Jugendarbeit tätig, was sie an Online-Gaming fasziniert: per Chat neue Freundschaften zu schließen, sich als Gruppe im virtuellen Kampf zu behaupten, - und nicht zuletzt, es den Männern auf ihrem eigenen Terrain "mal richtig zu zeigen".

Insgesamt bietet Rainer Fromm eine gute Einführung in die aktuelle kontroverse Diskussion um gewalthaltige Computerspiele und Ergebnisse der Medienwirkungsforschung. Die unterschiedlichen Gesprächspartner im Interviewteil decken ein breites und kontroverses Meinungsspektrum ab, damit gelingt das Vorhaben des Autors, eine vermittelnde Position zwischen besorgten Eltern, Jugendschutz, Wissenschaft, Softwareindustrie und den Spielern einzunehmen. Ihm ist darin zuzustimmen, dass die eingleisige und monokausale Behauptung einer Gewaltwirkung von Computerspielen unzulässig ist: Ihre Faszination beruht weniger auf dem manifesten Inhalt, also Schießen und Töten, als auf der inneren Spieldynamik, dem Aufbau von Spannung und dem Gefühl von Macht und Bewährung in einer virtuellen Welt des Spiels. Die (erschreckende) Handlung ist damit Mittel zum Zweck. - Das Buch enthält neben einem Glossar von Fachausdrücken einige S/W-Illustrationen und ist verständlich und flüssig, aber augenscheinlich eilig geschrieben: eine Schlusskorrektur wäre auf eine Menge von Flüchtigkeitsfehlern gestoßen.


 
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