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Der Journalist Rainer Fromm, mit zahlreichen Fernsehbeiträgen
und einer Buchpublikation als Experte zum Thema "Rechtsextremismus
im Internet" bekannt, beschreibt in einem neuen Buch Computerspiele
als Elemente einer neuen Jugendkultur. Dabei konzentriert er sich auf
die - spätestens nach Erfurt - in Öffentlichkeit und Politik
umstrittenen "Blut- und Ballerspiele".
Das Buch besteht aus zwei Teilen. In einem ersten Bereich,
einer ausgedehnten Einleitung, beschreibt der Autor anhand von Beispielen
die "Ahnengalerie" aktueller Ego-Shooter und geht auf die Diskussion
ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche ein: Digital spielen - real morden?
Der zweite Teil des Buches besteht aus zahlreichen Interviews, die der
Autor mit Experten aus politischer Bildung, Jugendschutz, Medienwissenschaft,
aber auch mit Vertretern der Spieleindustrie sowie nicht zuletzt jugendlichen
Gamern selbst geführt hat.
Von "Doom" bis "Counterstrike" - Machart
und Inhalte der vom Autor vorgestellten Spiele sind erschreckend. Ob es
gegen grausame Aliens auf einem fernen Planeten oder angreifende Skinheads
in einer sehr realen New Yorker U-Bahn geht, das Prinzip ist das immergleiche:
Schnell und effektiv töten, bevor man selbst zum Opfer wird. Zur
Auswahl stehen verschiedenartigste Waffen vom simplen Messer bis zu Lasergewehren,
Minen und Granatwerfern. Das Prinzip der subjektiven Kameraführung
und 3D-Effekte in Echtzeit, die Geräuschkulisse, das Eilen durch
endlose Gänge, in denen jederzeit der Feind auftauchen kann, all
dies sorgt für gleichermaßen klaustrophobische Stimmung und
actiongeladene Spannung. Das Töten selbst ist unterschiedlich grausam
und ausführlich dargestellt. Die Spitze bietet wohl die amerikanische,
also nicht für den deutschen Markt entschärfte Version von "Soldier
of Fortune": Ein "Körpertreffersystem" lässt
durch Schüsse Arme und Beine abtrennen, Köpfe zerplatzen und
Därme herausquellen. Die deutsche Version lässt sich durch den
Internet-Download eines Zusatzprogramms (Patch) recht umstandslos zur
beliebten amerikanischen Originalversion aufrüsten.
In der Diskussion der einschlägigen Ergebnisse der
Medienwirkungsforschung kommt der Autor zum Urteil, dass unmittelbare
Rückschlüsse vom Spielverhalten auf aggressives Gewalthandeln
nur sehr bedingt zulässig sind. Bei den bekanntesten Beispielen (Littleton
1999, Bad Reichenhall 1999, Erfurt 2002) sind die jeweiligen sozialen,
familiären und ideologischen Hintergründe der Täter mit
zu berücksichtigen: im Fall Littleton Außenseitertum und rechtsextreme
Gesinnung der Täter, in Bad Reichenhall der Einfluss eines waffenvernarrten
Vaters, in Erfurt Schulversagen. Und: die Voraussetzung für alle
Bluttaten war der Zugang zu realen Waffen. Letztlich stimmt Rainer Fromm
der "Verstärker-Theorie" ("double-dose") der
Medienwirkungsforschung zu: Problematisch ist, wenn gewalthaltige Spiele
mit schwierigen sozialen und psychischen Lagen zusammenkommen und virtuelle
und reale Welten nicht mehr getrennt werden. - Aktuelle Forschungen bestätigen,
dass Realgewalt und der Konsum aggressiver Medien gemeinsam auftreten.
Eine repräsentative bayrische Langzeituntersuchung ("Eichstädter
Studie") zu Schulgewalt ergab, dass der kleine Prozentsatz "harter
Täter" einer insgesamt gewaltgeprägten Lebenswelt entstammt
und gleichzeitig Multimediaangebote aus dem Umfeld der Kriegs-, Horror-
und Sexfilme bevorzugt.
Der Interviewteil des Buches beginnt mit einem Gespräch
mit dem bekannten Medienforscher Jo Groebel, der Ähnliches belegt.
Groebel leitete eine UNESCO-Studie, die repräsentativ das Medienverhalten
von Zwölfjährigen in 23 Staaten der Welt untersuchte, darunter
auch in Bürgerkriegsregionen. Frappierend war die Deutlichkeit, mit
der sich Kinder in Gewaltsituationen auch von Mediengewalt fasziniert
zeigten. Groebel sieht den Grund darin, dass entsprechende Medienangebote
Muster vermeintlicher Lösungen und Verhaltensmodelle anbieten, die
nach der von Krieg und Kriminalität geprägten Lebenserfahrung
dieser Kinder Plausibilität beanspruchen können. In Bezug auf
Video- und Computerspiele fordert Groebel eine verstärkte Medienkompetenz
der Erziehung: Während das Medium Fernsehen generationsübergreifend
genutzt wird und die Sender in Sachen Gewalt unter dem Druck der Öffentlichkeit
stehen, stellen digitale Spiele eine eigene Kultur dar, die bislang weitgehend
unter Ausschluss der pädagogischen Öffentlichkeit stattfindet:
Eltern und Schule sollten sich besser über das informieren, was hier
angeboten wird.
Mit Wolfram von Eichborn von der deutschen Vertriebsfirma
Activison ("Quake III-Arena", "Soldier of Fortune"
u.a.) wird ein wichtiger Vertreter der Computerspiele-Industrie befragt,
die milliardenhohe Umsatzzahlen erzielt und auf die multimediale Integration
von Film, Buch, Spiel und Merchandising setzt: jüngste Beispiele
sind die Vermarktungsstrategien von "Tomb Raider", "Herr
der Ringe" und "Harry Potter". Von Eichborn beschreibt
die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Produzenten von "Soldier
of Fortune", um das Spiel für den deutschen Markt und seine
strengen Jugendschutzbestimmungen kompatibel zu machen, und beklagt die
prinzipielle Unsicherheit, die die deutsche Regelung für den Spiele-Markt
bedeutet: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften
BPjS kann nur auf Antrag aktiv werden, das heißt, ein Spiel muss
bereits auf dem Markt sein, bevor es eventuell als jugendgefährdend
indiziert wird und damit schwerwiegenden Werbungs- und Vertriebseinschränkungen
unterliegt. Hier sei eine Veränderung der Gesetzesbasis und größere
Rechtssicherheit für die Produzenten und Vertriebsfirmen gefordert,
z. B. durch ein Gremium ähnlich der Freiwilligen Selbstkontrolle
der Filmwirtschaft FSK, die dem Handel verbindliche Vorgaben machen kann.
Die bestehende Regelung einer bloßen Altersempfehlung für Computerspiele
durch die Unabhängige Selbstkontrolle der Softwareindustrie USK sei
zu schwach. - Das anschließende Interview mit Elke Monssen-Engberding,
Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften, verdeutlicht Aufgaben und Entscheidungskriterien dieser Einrichtung.
Monssen-Engberding sieht die Hauptproblematik von "Blut- und Ballerspielen"
in der Minderung des Mitleidsempfindens, die in sozialen Konfliktsituationen
die Schwelle zum eigenen Gewalthandeln sinken lassen kann. Zudem ließen
viele dieser Computerspiele einen ethischen Minimalkonsens und Schutz
der Menschenwürde vermissen, wie er durch das Grundgesetz geschützt
sei. - Radikal spricht danach Werner Glogauer, "Hardliner" der
deutschen Medienwirkungsforschung, von direkten Folgetaten unter Medieneinfluss
bis hin zum Sexualmord. Als Konsequenz fordert er das generelle gesetzliche
Verbot von "Killerspielen".
Es folgen Interviews mit Tilman Ernst, zuständig
für die medienpädagogische Arbeit der Bundeszentrale für
politische Bildung, Jürgen Kuri, stellvertretender Chefredakteur
der Computerzeitung c't und Jürgen Fritz, einem bekannten deutschen
Spieleexperten. Gegen Ende des Buches kommt die Gamer-Szene selbst zu
Wort: Redakteure von Webseiten wie "PlanetLAN" mit aktuellen
LAN-Terminen, Chats, Newsräumen und Besprechungen von Spielen, Organisatoren
von Netz-Parties und Mitglieder von Spiele-Clans. Vermittelt über
das Medium Internet bildete sich in den letzten Jahren eine wachsende
und internationale Gemeinschaft, die inzwischen fließende Übergänge
zum Profitum aufweist: Gewinnern winken teils erhebliche Preisgelder.
Gleichwohl sieht sich die Masse der Spieler als Teil einer elektronischen
Community, die durch Spaß an Spannung, fairem Wettbewerb und Rollenspiel
verbunden ist: Eine in den Aussagen ihrer Mitglieder egalitäre und
friedliche Gemeinschaft, in der statt Herkunft oder Aussehen nur das individuelle
Können entscheidet und wo sich in der ursprünglichen Männerdomäne
auch zunehmend Frauen zeigen. In dem im Buch dokumentierten Gespräch
mit Friedemann Schindler von jugendschutz.net beschreibt eine Computerspielerin,
Pädagogin und seit Jahren in der Jugendarbeit tätig, was sie
an Online-Gaming fasziniert: per Chat neue Freundschaften zu schließen,
sich als Gruppe im virtuellen Kampf zu behaupten, - und nicht zuletzt,
es den Männern auf ihrem eigenen Terrain "mal richtig zu zeigen".
Insgesamt bietet Rainer Fromm eine gute Einführung
in die aktuelle kontroverse Diskussion um gewalthaltige Computerspiele
und Ergebnisse der Medienwirkungsforschung. Die unterschiedlichen Gesprächspartner
im Interviewteil decken ein breites und kontroverses Meinungsspektrum
ab, damit gelingt das Vorhaben des Autors, eine vermittelnde Position
zwischen besorgten Eltern, Jugendschutz, Wissenschaft, Softwareindustrie
und den Spielern einzunehmen. Ihm ist darin zuzustimmen, dass die eingleisige
und monokausale Behauptung einer Gewaltwirkung von Computerspielen unzulässig
ist: Ihre Faszination beruht weniger auf dem manifesten Inhalt, also Schießen
und Töten, als auf der inneren Spieldynamik, dem Aufbau von Spannung
und dem Gefühl von Macht und Bewährung in einer virtuellen Welt
des Spiels. Die (erschreckende) Handlung ist damit Mittel zum Zweck. -
Das Buch enthält neben einem Glossar von Fachausdrücken einige
S/W-Illustrationen und ist verständlich und flüssig, aber augenscheinlich
eilig geschrieben: eine Schlusskorrektur wäre auf eine Menge von
Flüchtigkeitsfehlern gestoßen.
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